Derzeit geistern viele Berichte durch die Medien, dass ab 2023 sowohl bei Erbe als auch bei Schenkung von Immobilien die jeweilig zu entrichtenden Steuerzahlungen massiv ansteigen könnten. Grundlage hierfür ist der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2022, welches am 1. Januar 2023 in Kraft treten soll. Ein Hintergrund liegt in der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV), welche seit Juli 2021 gilt und die nun im Rahmen des Jahressteuergesetzes auch von den Finanzämtern zur Ermittlung der Erbschafts- und Schenkungssteuer herangezogen werden wird.
Die Steuerbehörden ziehen nun stärker den aktuellen Verkehrswert einer Immobilie in ihre Bewertungen ein als das früher der Fall war. Künftig wird unter anderem davon ausgegangen, dass eine Wohnimmobilie 80 statt wie bisher üblich 70 Jahre genutzt wird. Somit fällt die Minderung des Alterswerts geringer aus und der Restwert steigt. Des Weiteren steigen die Wertansätze der Immobilien im Sachwertverfahren, da die neuen Wertzahlen teilweise 0,2 bis 0,5 über den bisherigen Wertzahlen angesetzt werden.
Im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren stark gestiegenen Immobilienpreisen wird nun befürchtet, dass die Steuern auf geerbte und verschenkte Immobilien von vielen nicht mehr geschultert werden können, da die steuerlichen Freibeträge nicht angepasst werden.
Ralf Colditz, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Immobilienbewertung der IHK zu Kiel und Leiter der Gutachtenabteilung der OTTO STÖBEN GmbH, sieht die Lage nicht ganz so dramatisch: „Die Richtlinien zur Bewertung einer Immobilie durch das Finanzamt mögen sich durch das neue Jahressteuergesetz zu Ungunsten des Steuerschuldners ändern. Nach wie vor werden aber gewisse Aspekte wie besondere Mietverträge, Altlasten, Baulasten Wohnungsrechte, die Lage, Rückstände bei Modernisierung und Instandhaltung etc. nicht von der Bewertungsstelle der Finanzämter erfasst, da hier die Erfahrungen um die Besonderheiten des Marktes fehlen.“
Der Immobilienerbe als Steuerschuldner hat neben der Bewertung der Immobilie durch das Finanzamt jedoch immer auch das Recht zum Nachweis des Verkehrswertes durch ein qualifiziertes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Hier sieht der Kieler Experte den entscheidenden Vorteil, da nun das Niederstwertprinzip nach § 198 Bewertungsgesetz (BewG) Anwendung findet: Das Finanzamt hat den niedrigeren Wert der beiden Bewertungsverfahren bei der Steuerfestsetzung anzunehmen.
„Da sich die Bewertungsgrundlagen für die Gutachten durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter nicht verändert haben und diese wesentlich genauer den aktuellen Verkehrswert widerspiegeln, sollten sich Immobilienerben nach der Bewertung durch das Finanzamt immer auch privat ein ‚Gegengutachen’ erstellen lassen, welches aus den vorhin genannten Gründen durchaus einen niedrigeren Verkehrswert ergeben kann“, rät Ralf Colditz.
Aus der eigenen beruflichen Praxis weiß der hochqualifizierte Sachverständige weiterhin zu berichten, dass bei Rechtsstreitigkeiten in solchen Angelegenheiten vor dem Finanzgericht immer ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zu Rate gezogen wird und dessen Sachverständigengutachten letztendlich wertentscheidend ist.
Die in den Medien vielerorts empfohlene Eile, ein Immobilienerbe oder eine Schenkung aus Sorge um hohe Steuerzahlungen noch schnell in diesem Jahr notariell in trockene Tücher zu bringen, wird sicherlich aufgrund von Terminschwierigkeiten kaum praktikabel sein und wird von Ralf Colditz durchaus auch kritisch gesehen:
„Es kann durchaus Sinn machen, ein privates Gutachten vor der Bewertung durch das Finanzamt in Auftrag zu geben. Allerdings sollte man sich hier ausführlich durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beraten lassen. Ich kann nur empfehlen, nichts zu überstürzen. Die Bewertung einer Immobilie durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter wird sich am 31. Dezember 2022 nicht wesentlich von einer Bewertung vom 1. Januar 2023 unterscheiden.“